Bei Gengler können wir nachlesen, welche Schwierigkeiten den Schützen im 19. Jahrhundert gemacht wurden, bis sie 1846 nach 30-jähriger Pause wieder einen Vogelzug veranstalten durften und wie groß die allgemeine Freude war, nicht nur bei den Schützen, die ganze Stadt freute sich und feierte mit.
Und heute? Nicht selten findet unser Vogelzug sozusagen „unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt“. Was hat sich da in den letzten 100 Jahren geändert, mit welchen Folgen?
1846 zählte Erlangen ca. 10.000 Einwohner, bei den Schützen waren ca. 100 Mitglieder eingeschrieben, das waren ca. 1% der Bevölkerung. Ein Umzug mit Musik und Vogel war da eine sehenswerte Abwechslung im grauen Alltag.
1923 war die Bevölkerung auf ca. 28.000 angewachsen, die Schützengesellschaft zählte ca. 200 Mitglieder. Ein Umzug, bei dem noch dazu einige dieser neumodischen Kraftfahrzeuge zu sehen waren, war für das Publikum in jedem Falle eine Attraktion.
2014 war die Bevölkerung auf über 100.000 angewachsen, die Schützengesellschaft zählte ca. 450 Köpfe, von denen höchstens 10 %, also weniger als 0,5 Promille der Bevölkerung beim Vogelzug mitmarschierten. Beim heutigen Angebot an Events und Freizeitgestaltung ist ein Schützenumzug für das Publikum ein absolut unattraktives Angebot, der nur dann auf ein gewisses Interesse hoffen darf, wenn er durch historische Accessoires (z. B. Zieler und Vogel) aufgewertet werden kann.
Bei genauem Hinsehen hat der Vogelzug sogar seine Berechtigung mindestens zum Teil verloren. Als sich die Gesellschaft aus den Einwohnern der Stadt rekrutierte, holte der Vogelzug den Vogelkönig von zu Hause ab. Der Vogelkönig, der heute im Randgebiet der Stadt oder in einer der umliegenden Gemeinden wohnt, wird nicht mehr von zu Hause abgeholt, symbolisch wird er bei einem der wenigen Schützenbrüder abgeholt, die noch in der Stadt wohnen.
